Shanghai - das ist bloß eine Ortsangabe. "Über dem Meer", ein Name fast wie Koordinaten. Shanghai wächst schneller, weiter, höher; die Gegenwart - nur eine Station auf dem Weg in die Zukunft. Die Stadt möchte den Eindruck von entschlossenem Fortschritt erwecken, aber sie schafft damit eine geschichtslose Modernität.
Wang Xiaohui ist so, wie Shanghai gerne sein möchte. Schön und gescheit, chinesisch und international, erfolgreich und vermögend, organisiert und lässig, modern und traditionell zugleich.
Sie ist Architektin, Fotografin, Schriftstellerin, lebt gern und gut, wohnt wunderschön mit dem Blick auf den Huangpu und auf Shanghais zukünftige Weltausstellung Expo 2010. Viele Jahre hat sie in München gelebt, sie kleidet sich schick, macht die Nacht zum Tage und liebt es, mit Freunden in den Bars zu plaudern. Geschäftssinn hat sie sowieso. Shanghais ständige Veränderung ist wie ihr Leben. "Wang Xiaohui ist die personifizierte Metropole", beschreibt Joachim Holtz eine der Hauptpersonen seines Films über Chinas größte Stadt. "Sie hat uns auf erstaunliche Weise deren Attraktivität, Vielfalt und Widersprüchlichkeit nahe gebracht." Shanghai ist anders als die anderen Megacitys der Welt. Die Stadtregierung ist eine Administration und zugleich ein riesiges Wirtschaftsunternehmen. Sie muss sich selbst finanzieren, muss gewinnorientiert arbeiten.
Shanghai ist eine Schönheit mit Mängeln. Kein makelloses Modell. "Ein Modell für andere Städte auf der Welt, ein Modell für Megastädte mit 50 oder gar 60 Millionen Einwohnern ist Shanghai nicht", stellt Holtz fest. Bestenfalls sehen Chinesen aus anderen Teilen des Landes in Shanghai einen Entwurf ihrer eigenen möglichen Zukunft. Alles geht nach Plan, aber die Wirklichkeit hält sich nicht daran. Mao Guozhen hat eine winzige Nische gefunden in der riesigen Stadt, ein Plätzchen, in dem sich überleben lässt, das aber weggewischt werden kann mit dem Bleistiftstrich eines Stadtplaners. Die 34Jährige verkauft Obst, das ihr Mann vom Wangjiamatou-Markt beschafft, ein Handel in kleinen Beträgen. Vor zehn Jahren sind die Beiden aus der Provinz Jiangxi nach Shanghai gezogen, zwei einfache Menschen vom Lande. Zwei Arbeitslose waren sie, mit bescheidener Hoffnung, zwei der fünf Millionen Wanderarbeiter in Shanghai, die von der Stadt leben, die aber ebenso notwendig sind für das Funktionieren der Stadt. Sie sind die Arbeiter auf den zahllosen Baustellen, sie bieten Lebensmittel in den kleinen Nachbarschaften an, dort, wo die großen Ladenketten keine Filialen einrichten, sie kochen, bedienen und reinigen in den Restaurants, sie putzen Wohnungen und fegen Straßen, schaffen Müll weg, stehen bereit, wenn andere eine unangenehme Arbeit nicht übernehmen wollen. Unsichtbare, ohne die Shanghai nicht strahlen könnte. Als Shanghaier gelten sie nicht.
"Shanghai ist unkoordiniert und heterogen wie keine Stadt sonst, da ist kaum ein städtebauliches Leitbild zu erkennen." Der Hamburger Architekt und Stadtplaner Meinhard von Gerkan sieht dort "nur noch Chaos". Für Chinas größte Stadt ist das eine herbe Beschreibung. Dabei ist alles geplant. Aber wer entscheidet das eigentlich? "Das frage ich mich auch oft", seufzt von Gerkan. Die Entscheidungen werden von Partei-Gremien getroffen. Architekt von Gerkan hat eine ganz neue Stadt entwerfen können: Lingang Harbour City dicht am Gelben Meer. Sie soll 2020 fertig sein und Platz für eine Million Menschen bieten.
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