Mustafa Ö. entstammt einer angesehenen Familie aus Ostanatolien, deren Männer „schon immer“ vor Ort Recht gesprochen und bei Streit vermittelt haben. Wie seine Vorfahren wird er auch hier in Deutschland von Landsleuten gerufen, wenn die Beteiligten nach einer Auseinandersetzung oder Schlägerei Vermittlungsgespräche oder einen Schuldspruch brauchen. Oft ziehen in der Folge seiner Schlichtung dann Zeugen oder Opfer ihre Aussage vor dem deutschen Gericht zurück oder bagatellisieren sie – denn man hat sich ja schon geeinigt.
Muslimische „Friedensrichter“ tragen keine Robe und haben keine juristische Ausbildung. Dennoch sind sie Schlüsselfiguren einer Paralleljustiz, die das deutsche Rechtssystem partiell zunehmend aushebelt. So sehen es inzwischen viele Richter, Staatsanwälte und Polizisten.
Der Kurde betont hingegen die vermittelnde Funktion zwischen den Kulturen. Er ist überzeugt, dass „Friedensrichter“ die deutschen Behörden und Gerichte entlasten. Ob er Geld für seine Dienste bekommt, darüber macht er keine Angaben.
Er ist seit fast fünfzig Jahren in Deutschland, war mit einer deutschen Frau verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Mustafa Ö. ist stolz darauf, dass seine Tochter studiert – und trotzdem sind seine Ansichten teilweise sehr traditionell. Eine muslimische Frau muss in Streitfällen immer damit rechnen, dass sich der Friedensrichter an den herkömmlichen Rollenbildern orientiert. Gewalttaten werden zwischen den Clans häufig mit dem Scheckbuch geregelt; auch ganz wie früher.
Wie verbreitet ist die muslimische Paralleljustiz inzwischen? Wie funktionieren diese Gespräche? Behindern sie die deutsche Strafverfolgung und Rechtssprechung tatsächlich?
Die Autorin Güner Yasemin Balci und Ihr Team beobachten den „Friedensrichter“ Mustafa Ö. bei seinen Schlichtungsversuchen. Wo ist seine Tätigkeit möglicherweise sinnvoll und hilfreich – und wo werden die Regeln des deutschen Rechtsstaats durch unzulässige Einflussnahme verletzt?
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