Ein Mann mit Spitzbart sitzt im Schneidersitz, immer, es sei denn, er steht auf dem Kopf. Er sagt: „Die Welt steht kopf. Desillusionierung ist eine feine Sache.“
Die Bilder stehen in diesem Film auch immer wieder auf dem Kopf. Wo ist oben, wo ist unten? Die Bäume am Bachufer spiegeln sich im Wasser. Was ist Spiegelung, was ist echt? Mit Opel und Krupp geht es jetzt auch den Bach runter.
Der Film verspricht im Untertitel „Begegnungen jenseits des Wachstums“. Den Begriff „Wachstum“ darf man dabei nicht zu eng verstehen. Wachstum ist Metapher für alles, was derzeit so falsch läuft im Land. Wachstum ist industriell betriebene Landwirtschaft, ist Gentechnik, ist Kinderarmut, ist Altersarmut, ist fossile Energie. Wachstum ist Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung, ist Privatisierung von Staatseigentum bei gleichzeitiger staatlicher Bevormundung. Wachstum ist, dass es das bedingungslose Grundeinkommen noch nicht gibt.
„Wir könnten auch anders“ heißt der Film von Daniel Kunle und Holger Lauinger und zeigt exemplarisch Menschen, die bereits anders können. Oder konnten, bis ihnen „die Politik“ wieder Steine in den Weg gelegt hat. Da wird nämlich Privatinitiative gepredigt, aber die schöne, helle, private Landschule geschlossen, einfach so.
Propaganda klingt so negativ
Ein Politmagazinjournalist wäre nun ins zuständige Amt oder Ministerium gefahren und hätte sich das Statement der Gegenseite besorgt. Nicht so Kunle und Lauinger, denn, wie sie auf der Homepage ihrer Sein im Schein Filmproduktion unter der Überschrift „Einstellung“ schreiben: „Mit Empathie für Personen und Situationen versuchen wir Inhalten die passende Form zu geben.“ Man könnte auch sagen, sie hätten einen Propagandafilm gemacht. Aber das hätte gleich so einen negativen Beigeschmack.
Und außerdem, einmal lassen Kunle und Lauinger „die Politik“ dann doch zu Wort kommen. Da erklärt dann so ein „Krawatte passt doch auch zum Anorak“-Spießer, warum eine ältere Frau von Polizisten gefesselt und von ihrem Grundstück getragen werden muss: „Der Grundstücksanschluss, um den es geht, ist, technisch gesprochen, die leitungsmäßige Verbindung von einem Grundstücksanschluss, den Sie hier im Straßenland finden …“ Man sieht und hört: „Die Politik“ schreckt nicht vor brutaler Gewalt zurück gegen Menschen, die doch nur selbst entscheiden wollen, wohin mit ihrem Abwasser.
Kunle und Lauinger setzen den sozial und ökologisch bewussten Eigenbrötlern des Landes, seines östlichen Teils, ein Denkmal. Denn sie, Kunle und Lauinger, wissen, was sie tun. Kein Kommentar, stattdessen Nachrichtenschnipsel aus dem Off. Und Bilder, die suggestiver nicht sein könnten. Die Grillen zirpen und die Vögel zwitschern. Der Mann mit Spitzbart und Schneidersitz schärft seine Sense, während im Hintergrund eine dröhnende Landmaschine vorbeifährt, die in einer Minute mehr Arbeit verrichtet als der Mann an einem Tag. Das böse „Wachstum“.
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